Grundlagen

Die Rolle der Motive

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Wie häufig denken wir bei unserer täglichen Arbeit an den geldwerten Nutzen derselben? Die meisten Menschen wohl eher selten. Im Vordergrund steht in der Regel das Motiv, ein Konkretes Problem zu lösen oder eine konkrete Aufgabe zu erfüllen. Damit wir die Arbeit überhaupt tun, bedarf es natürlich einer finanziellen Vergütung, die uns den Lebensunterhalt sichert. Sie ist also ein Grundmotivator. Vielleicht würden wir was anderes tun, wenn wir uns nicht um den Lebensunterhalt kümmern müssten? Vielleicht. Aber auf jeden Fall würden wir etwas tun. Vielleicht aber auch genau das, was wir gegenwärtig in unserem Beruf machen. In diesem Fall haben wir unseren Beruf gut gewählt. Was motiviert uns aber genau das zu tun? Da gibt es sehr viele – und sicher auch sehr individuelle – Gründe. Auf jeden Fall Gründe, die auch jenseits ökonomischer Anreize liegen. Noch einmal: ich will nicht die Bedeutung ökonomischer Anreize ausschließen. Ich möchte nur zeigen, dass es noch andere Motive gibt. Wir suchen beispielsweise Herausforderungen, an denen wir wachsen können. Wir wollen auch gestalten und verändern. Das Problem der Bedürfnisse und der Macht wird im Beitrag „Dialog: die Rolle des Preises und der Macht im Bedürfnisraum“ behandelt.

Wenn wir das Motiv des ökonomischen Handelns auf den pekuniären Nutzen reduzieren, wird die Sache einfacher und überschaubarer. Wir stehen dann vor einem (eindimensionalen) Optimierungsproblem unter Unsicherheit, das es zu lösen gilt. Dieses eindimensionale Motiv hat hinsichtlich der moralischen bzw. rechtlichen Dimension folgende Konsequenz: Es entsteht mangels anderer Motivatoren die Einstellung, dass alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Diese Einstellung hat natürlich Konsequenzen auf die Regulationsdichte. Es muss nämlich alles geregelt werden, was nicht erlaubt ist (daher ist die zunehmende Regulation gerade seit den 90er Jahren eine logische Folge aus der Entwicklung des Finanzsektors). Ausgehend von den Annahmen, dass die Motivlage rein pekuniär ist (wofür es natürlich auch empirische Begründungen gibt), wurden die Geschäftsmodelle von Finanzinstituten (aber auch sonst) an diese Motivlage angepasst. Dies wurde im Wesentlichen durch Verkaufsorientierung und Bonussysteme verwirklicht. Besonders auffallend ist diese Entwicklung im Bereich des einst so prestigeträchtigen „Swiss Banking“, das seit Mitte der 90er Jahre zugunsten eines „American Banking“ weichen musste. Was einst das Label „Schweizer Qualität“ hatte, ist mittlerweile eher unter "skrupellose Finanzindustrie einer Steueroase" bekannt.[1]

Im Bereich des Bankwesens, in dem es primär um Allokationsfragen, bzw. die klassischen Kernfunktionen des Bankwesens (Fristentransformation, Risikotransformation und Losgrößentransformation) geht, werden die Gestaltungsmotive genau im Umfeld dieser Kernfunktionen liegen. Es entstehen Fragen wie: Welche Wirkungen möchte ich durch die Bankfunktionen für die verschiedenen Anspruchsgruppen bzw. das ökonomische Umfeld erreichen? Da geht es sicher um Fragen des ökonomischen Nutzens und der Tragbarkeit. Um Fragen der Sicherheit und des Risikos. Aber auch um Fragen im Bereich der Gestaltungsspielräume der Anspruchsgruppen. Allgemein um Fragen der Externalitäten in andere Lebensbereiche. Auch um Fragen, wie mit Kunden umzugehen ist. Auch Fragen der Regulation und Einhaltung der Gesetze. Auch Fragen, in welchem Verhältnis Mitarbeiter einer Bank zu dem verwalteten Geld stehen. Optimieren wir alle diese Fragestellungen auf basis der pekuniären Nutzenmaximierung, werden wir ganz bestimmte Ergebnisse erhalten (vielleicht liegt die Eintönigkeit des Finanzsektors an dieser Eintönigkeit der Motivlage). Die Ergebnisse werden aber ganz andere sein, wenn wir andere Motive dazunehmen, bzw. den nötigen Ertrag nicht als primäres Motiv, sondern als Planungsannahme verstehen. Ein Beispiel: der Antrieb ist der Wille zum Gestalten. Dieser Antrieb verbindet sich mit dem Motiv: Jeder Mensch der bei uns Geld anlegt, soll in die Lage versetzt werden, selbst die Verantwortung (und den Gestaltungsspielraum) für dieses Geld übernehmen zu können. Da wird es zu längeren Gesprächen kommen, als unter pekuniärer Nutzenmaximierung vertretbar. Es werden andere Produkte entstehen, als aus ertragsperspektive sinnvoll. Der Kunde wird intensiver aufgeklärt, als unter Marketingaspekten nötig. Das neue Motiv erobert sozusagen einen Raum für sich und bricht die Alleinherrschaft der ökonomischen Nutzenmaximierung. Und es gibt ja zahlreiche Motive und Antriebe, die alle einen gewissen Raum einnehmen würden.

Wenn wir vom rein ökonomischen Nutzen absehen, kommen wir also in einen sehr weiten Gestaltungsraum, in dem es gilt, Positionen zu beziehen und Richtungen vorzugeben. Ich behaupte, dass dieses Universum von Gestaltungsfragen unter dem einen Motiv der pekuniären Nutzenmaximierung vergraben liegt und daher ungestaltet bleibt. Mit welchem Motiv gehen wir an die Fragen dran? Ein Motiv kann natürlich die Maximierung des pekuniären Nutzens sein (derzeit gängige Motivlage, auf der die meisten Geschäftsmodelle basieren). Ein Motiv kann sein, „gut“ und sozial zu sein (was dabei auch immer unter „gut“ verstanden wird). Ein weiteres Motiv kann sein, zu fördern, was man als förderungswürdig anerkennt (eine Variation des „gut“ seins). Oder die Förderung der Kultur, einer bestimmten Religion oder Ideologie, einer bestimmten Menschengruppe oder auch die Erkenntnis davon, was in einem bestimmten Bereich aus der Sache heraus am besten zu tun ist. Jedes dieser Motive führt zu spezifischen Gestaltungsvariationen die sich in Visionen äußern. Die Visionen werden wiederum in Strategien und Geschäftsmodelle gegossen. Und diese wiederum führen zu konkreten ökonomischen Handlungen.

Bei voller Anerkennung der Wichtigkeit des ökonomischen Nutzens als Lebensader jedes Unternehmens, dürfen wir nicht den Stellenwert anderer Gestaltungsräume verkennen. Wir reduzieren uns und unsere Umgebung zu stark, wenn wir nur eine Nutzenfunktion haben. Die Motive sollten einfach eine gewisse Ausgeglichenheit erreichen. Sie wiedersprechen sich auch nicht immer und überall. Wenn allerdings ein Motiv die Alleinherrschaft erreicht, ist das nicht nur langweilig, sondern auch ungesund - einerlei ob das die Maximierung des pekuniären Nutzens oder ein beliebiges anderes Motiv ist.



[1] À Porta, G. R. (2010): Transparente Geschäftsmodelle in der Bankberatung: Illusion oder Zukunft?. Masterarbeit. Institut für Informatik der Universität Zürich, Prof. Dr. G. Schwabe.