Angebot und Bedürfnisse

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Bedürfnisse äußern sich in der Nachfrage nach bestimmten Gütern/Dienstleistungen. Es werden unterschiedliche Kategorien, Hierarchien und Begrifflichkeiten für Bedürfnisse verwendet. Gemeinsam haben alle Kategorisierungen, dass immer drei sich beeinflussende und überschneidende Dimensionen berührt werden.

I. Materielle Bedürfnisse (z.B. Sicherheit, Subsistenz, Wohnen, Essen,..)

II. Individuelle Bedürfnisse (z.B. Identität, Freiheit, Kreativität, Selbstverwirklichung,..)

III. Zwischenmenschliche Bedürfnisse (z.B. Verständnis, Teilnahme, Zuneigung, Sexualität,...)

Wie positionieren sich Finanzdienstleister in diesem Bedürfnisraum[1] der durch die Bedürfnisse der Individuen aufgespannt wird?

I. Materielle Bedürfnisse. Als Dienstleister bieten sie Geld/Kapital ("Meta-Güter") und deren Transformation an. Mit Transformationen meine ich sowohl die Transformation des Meta-Gutes in ein reales Gut (Zahlungsverkehr, Kredit, Sparen) aber auch die Transformationen innerhalb des Meta-Gutes (Fristen-, Risiko-, Losgrößentransformation)

Die wichtigsten materiellen Bedürfnisse sind die Verfügbarkeit, der Preis, die Sicherheit in der Abwicklung sowie die geringe Zeitaufwand („Komfort"- Flexibilität, Service).

  • Verfügbarkeit ist in entwickelten Märkten noch (und in geringem Maße) bei Krediten ein Thema. Die Verfügbarkeit von langfristigen Immobilienkrediten (20, 25, 30 Jahre) ist eine Entwicklung der jüngsten Vergangenheit und der Zugang zu Krediten ohne Sicherheiten verschlechtert sich gerade wieder.
  • Jede Preiserhöhung würde den verfügbaren Umfang der eigentlich gewünschten realen Güter reduzieren und mich daher von meinen eigentlichen Bedürfnissen abbringen. Das Bedürfnis nach einem niedrigen Preis wird durch Intransparenz in der Preissetzung durch die Finanzdienstleister oft gemindert. Her sind regulatorisch und technologisch (Preisplattformen) induzierte Verbesserungen eingetreten.
  • Genauso führt jede Zeiterhöhung in der Transaktion zu einer Einschränkung der eigentlich gewünschten Ziele. Bedürfnisse nach Komfort können über die Zeitfunktion (Opportunitätskosten) wieder in eine Preisfunktion transformiert werden können.
  • Das Bedürfnis nach Sicherheit steht im Zentrum der Angebotsfunktion von Versicherungen [2] ist aber auch für den Zahlungsverkehr, das Sparen und bei Krediten relevant. Sicherheit meint auch, sicher zu sein, dass die Bank als Experte mir den bestmöglichen Rat gibt - mich langfristig als Partner begleitet statt kurzfristig Ihren Profit zu optimieren bzw. nicht versucht mir für mich nachteilige Produkte zu verkaufen. Im Kreditbereich bedeutet Sicherheit auch, dass meine Bank in schlechten Zeiten für Refinanzierungen zur Verfügung steht. Spannend ist ein von Shiller [3] genannter Einfall, die Laufzeit und Zinskonditionen vertraglich und automatisch an die Konjunkturentwicklung koppeln.

II. Individuelle Bedürfnisse (Freiheit, Kreativität, Selbstverwirklichung). Diese Bedürfnisse entstammen zwar einer geistigen Ebene, benötigen aber zur Realisierung das Materielle. Ein Beispiel ist die berufliche Selbstverwirklichung. Unsere in Summe gut funktionierenden Kredit- und Eigenkapitalmärkte haben zu hohen Finanzierungswahrscheinlichkeiten von beruflichen Ambitionen - die für viele Menschen essentiell in der Selbstverwirklichung sind - geführt [4] . In die richtige Richtung gehen die von einigen Banken in den letzten Jahren aufgebauten Servicefunktionen wie Beratung für Gründer. Eine ähnliche Argumentation ist für die Themen Freiheit oder Kreativität leicht darstellbar. Welche Voraussetzungen bestehen damit Banken diese individuellen Bedürfnisse abbilden können?

  • Flexibilität in den Prozessen und Systemen um den individuellen Anforderungen gerecht zu werden. Viele alte komplexe Systemlandschaften beeinträchtigen die volle Entfaltung der Möglichkeiten bzw. machen diese teuer. Hier fehlt ein Investitionsschub um die vollen Möglichkeiten der neuen Informationstechnologie kostengünstig ausschöpfen zu können.
  • Expertise, Zeit und Unabhängigkeit in der Beratung. Je höher die Beratungsexpertise desto eher kann der Kunde bei der Erreichung seiner Ziele unterstützt werden. Neben dem Wissen der Berater und deren Zeitbudget für die Lösung der Kundenprobleme ist deren Unabhängigkeit in der Beratung entscheidend. Die Bezahlung der Kundenbetreuer sollte an Kriterien wie Kundenbindung oder Zufriedenheit und nicht an umsatzgetriebene Bonifikationen ausgerichtet werden.

III. Zwischenmenschliche Bedürfnisse (Verständnis, Teilnahme, Zuneigung, etc.)

Vertrauen, Teilnahme sind Bedürfnisse die bis dato nur im geringen Maße durch den Sektor (außer in der Werbung in vielleicht bei der Beratung im Wealth Management) bedient wurden. Erfüllt werden diese Bedürfnisse, wenn Bankberater Zeit zum „Zuhören" und „Verstehen" haben würden (Momo) und Raum zur Teilnahme und Zuneigung entsteht. Eine konsequente langfristige Ausrichtung der Profitabilität auf die gesamte Kundenbeziehung mit dem Versuch diese möglichst lange zu gestalten wäre der wichtigste Schritt in diese Richtung. Davon abgleitet müsste das Provisionssystem im Vertrieb von Verkauf auf Beratung umgestellt werden. Dann könnte auch Vertrauen entstehen. Obwohl dieser wichtigste Schritt bis dato nicht getan wurde tut sich einiges auf den Nebenschauplätzen:

  • In den Bereichen der Peer to Peer Kreditplattformen und der Mikrofinanzierung werden zwischenmenschlichen Bedürfnisse und die soziale Interaktion stärker befriedigt bzw. für die Erreichung der materiellen Bedürfnisse nutzbar gemacht.
  • Alternativbanken denen die Auswirkungen der investierten Mittel auf die Gesellschaft wichtig sind (ökologische, soziale Kriterien bei Investitionen und Kreditvergabe)
  • Der im Artikel "Transparenz" diskutierte Ansatz von Alternativbanken eine stärkere Unmittelbarkeit zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern zu schaffen oder noch weiter in diese Richtung gehende Versuche alternativer Finanzdienstleistern in den USA sich als reine Intermediäre für Kredite zwischen Verwandten und Bekannten zu positionieren.
  • Banken vernetzten zunehmend Ihre Kunden um diese dadurch als Netzwerk stärker an sich zu binden bzw. den Kunden Vorteile zu schaffen. (Großkundenveranstaltungen, Clubs,...). Dieser Punkt erfüllt natürlich keine der zwischenmenschlichen Bedürfnisse, schafft aber zumindest neue Räume zur Erfüllung.

Ein Blick auf die Bankenlandschaft (Privatkunden und SME) aus der Vogelperspektive bietet zusammenfassend das folgende Bild auf die Schnittstelle zwischen Angebot und Bedürfnissen:

  1. Materielle Bedürfnisse. Die wichtigsten Bedürfnisse sind Verfügbarkeit, Preis, Zeitersparnis und Sicherheit. Es gibt nur geringe bis keine Differenzierung im Angebot. Alle Anbieter versuchen die Kosten zu senken und das Service zu verbessern. In der Dimension Preistransparenz finden sowohl regulatorisch als auch technologische (Preisvergleichsplattformen im Internet) getriebene Verbesserungen statt. Wenig innovative Veränderung ist in der Dimension Sicherheit festzustellen, obwohl gerade hier viel Bedarf besteht.
  2. Individuelle Bedürfnisse. Die wichtigsten Unterkategorien sind Flexibilität (Individualität) und Beratungsqualität (Expertise, Zeit, Unabhängigkeit). Geringe bis keine Differenzierung zwischen den Banken. Der wichtigste Schritt liegt in der Veränderung des Vertriebs und der Unternehmensausrichtung hin zur Beratungsqualität (Langfristigkeit in der Kundenbeziehung und kein umsatzgetriebenes Provisionssystem). Zur Ausnützung der vollen Möglichkeiten hinsichtlich Individualität sind Investitionen in die IT Systeme notwendig.
  3. Zwischenmenschliche Bedürfnisse. Die wichtigsten Unterkategorien sind Vertrauen und Verstehen. Wie bei den individuellen Bedürfnissen ist der wichtigste Schritt die Orientierung hin zur Beratungsqualität. Innovation und Veränderung findet auf den Rändern der Wettbewerbslandschaft in den letzten Jahren statt. (Peer to Peer Banking, Alternativbanken)
  4. Es gibt starke Wechselwirkungen zwischen den drei Ebenen. Durch die genannten Innovationen hinsichtlich der zwischenmenschlichen Bedürfnisse ergeben sich positive Veränderungen auf den Ebenen 1 und 2. Das Zusammenbringen von Kreditnehmern und Kreditgebern, kann den Kreditnehmern bei der Erfüllung seiner beruflichen Selbstverwirklichung (2. Individuelle Bedürfnisse) unterstützen welches zu materiellem Erfolg führt (1. Materielle Bedürfnisse).


[1] Raum wird hier als mehrdimensionaler Raum, in dem Achsen die jeweiligen Bedürfniskategorien entsprechen, verstanden. Die grundlegenden Bedürfnis-Achsen dieses Raums sind bei allen Individuen gleich. Unterschiedlich sind die Wichtigkeit und die Konkretisierung der einzelnen Bedürfnisse im Realen
[2] Aus einer philosophischen Perspektive (“Schicksal“) ist es spannend, dass wir es in der westlichen Welt geschafft haben uns durch Versicherungen von Schicksalsschlägen (Naturkatastrophen und Unfälle) zumindest materiell weitestgehend zu lösen.
[3] Shiller, Robert – in einem verlorengegangen Zeitungsartikel zu seinem neuen Buch „Finance and the Good Society
[4]Wie limitierend nicht vorhandene Finanzierungsmöglichkeiten zur Selbstverwirklichung sind habe ich während meines Aufenthaltes bei einem Mikrofinanzierungsinstitut in Indien erfahren.