Wille
Wille III - Dein Wille Geschehe
In diesem Beitrag vervollständige ich den Artikel II um eine soziale Dimension.
Der “Artikel Wille II – Selbstverwirklichung“ mag den Anschein erwecken, dass ich unser Dasein als rein narzisstisch – konstruktivistisches Projekt betrachte. ("Rein" ist nochmals hervorgehoben, da ich den konstruktivistischen Elementen - z.B.unsere eigenen Perspektive zu den Tatsachen [unsere Welt] - keine prinzipielle Absage erteile. Ein Projekt, bei dem es “nur“ (als ob das nicht schon schwer genug wäre) darum geht, mit einem starken Willen die Verwirklichung der eigenen Bedürfnisse zu verwirklichen. Wenn ich nur will mache ich mir die Welt so wie ich will und dann ist es gut – weil ich ja meine Bedürfnisse erfüllt habe. Oder wie Pipi singt: „2 x 3 macht 4 – Widdewiddewitt und Drei macht Neune !- Ich mach' mir die Welt-Widdewidde wie sie mir gefällt :.“ [1]
Selbstverwirklichung und Bedürfniszentrierung sind nur eine Seite der Medaille.
Nun, die anderen Seiten der Medaille um das Bild zu vervollständigen:
- Erwähnt war in Wille (II) bereits der Wille und die Bedürfnisse anderer Menschen. Wohin die Unterdrückung oder nicht Berücksichtigung anderer Bedürfnisse führt, zeigt im extremsten Fall die Kriegsgeschichte. Im Kleinen (Beziehung) kennt jeder die sozialen Notwendigkeiten des Kompromisses im Alltag. Das Gegenargument ist aufgelegt: Mein Bedürfnis nach Beziehung gleicht meine egoistische Bedürfnisse aus. Ich denke, dass das alte Argument „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. “ [2] seine Berechtigung hat.
- Schicksal, das aktiv angegangen werden kann oder passiv angenommen wird. Bei Heidegger ist es die „Geworfenheit“ - Die Umstände in dir wir durch unsere Geburt geworfen werden. Ob das Zufall oder göttliche Wille (Dein Wille geschehe) ist, ist per se für dieses Argument nicht relevant und eine Glaubensfrage…
- Es gibt auch ein Wollen der Dinge von uns. Wer kennt die Erfahrung aus kreativen Handlungen, dass “Dinge“ auch einen Willen oder zumindest eine Frage, einen Möglichkeitsraum haben? In wie fern dann unser Wille und der Möglichkeitsraum sich vereinen um eine Entfaltung zu ermöglichen liegt in unserer Hand – aber eben nicht alleine. Wenn ich mir für einen Kunden eine komplexe Fragestellung ansehe, dann geht mein Ego zurück (nicht weg). Ich will das Beste aus dieser Fragestellung machen. Die Fragestellung will aber auch eine Antwort von mir.
- Bedürfnisse sind unendlich und können bekanntlich auch erzeugt werden.
Über höchst-individuelle Bedürfnisse hinaus.
Kommentare
Aus meiner Sicht ist es ein besonders spannender Aspekt in dieser Debatte – und das fehlt mir auch noch in der bisherigen Auseinandersetzung –, einmal weiterzudenken, wie der Wille der einzelnen und der der Gemeinschaft überein gebracht werden können. Und hier fiel mir dann recht spontan Rousseau ein, der mit dem Gesellschaftsvertrag genau diesen Dualismus aufzulösen versucht.
Mit der Formulierung der volonté générale macht er einen großen Schritt zum heute gängigen "demokratischen Denken" einer Gesellschaftsordnung bestehend aus Bürgern weg vom Staat, in dem sich Untertanen befinden.
Zwei Punkte sind hier aber wichtig:
Der allgemeine Wille ist nicht unbedingt der bessere
Am Anfang steht: "Das Gemeinsame in diesen verschiedenen Interessen bildet das gesellschaftliche Band" Daraus ergibt sich, dass der allgemeine Wille auf das allgemeine Beste abzielt, daraus muss aber nicht folgen, dass die Beschlüsse immer besonders gut sind. Zwischen dem Willen aller und dem allgemeinen Willen wird es meist einen Unterschied geben. Zweiterer ist auf das allgemeine Beste aus, ersterer auf die Erfüllung der Individualinteressen. Zieht man nun von diesen Willensmeinungen das Mehr und Minder, das sich gegenseitig aufhebt, ab, bleibt als Schnittmenge der allgemeine Wille übrig. Die besondere Qualität erreicht dieser nicht durch die besondere Effektivität der Maßnahme die daraus erwächst, sondern davon, dass er von allen getragen wurde.
Wenn man nun versucht, den Willen umzusetzen, dann stößt man in der Realität an Grenzen. Das Einschalten von Parteien und Vereinigungen beispielsweise führt zu einer Minimierung der Inputmenge und damit auch zu einer Abschwächung des allgemeinen Willens. Was das in der Realität bedeutet, ist auch aktuell sehr herausfordernd. Parteien galten lange als notwendiges und zwischenzeitlich auch sehr anerkanntes Vehikel für eine demokratische Meinungsbildung. Interessanterweise könnte die Ansicht von Rousseau wieder Bedeutung erlangen, da heute Meinung wieder am "verbandspluralistischen System vorbei" gebildet wird.
Eine autoritäre Umsetzung ist ein Rückschritt vom Freiheitsmodell
Und gleichzeitig: Mit radikaler Basisdemokratie lassen sich komplexe Zusammenhänge wohl nicht (mehr) lösen. Genauso wenig mit einer Autorität wie sie Rousseau vorsieht. Die aktuelle Debatte stellt sicher zu Recht das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Frage. Aus meiner Sicht wäre es aber ein Rückschritt, wichtige Errungenschaften, die auch den Kern des Menschseins betreffen (Freiheit, Denken, Individualität) einfach wieder in klassische Zwangsstrukturen (neuer Art) zurückzudrängen.
In der Diskussion zeigt sich das Problem der individuellen Freiheit (die oft mit Willkür gleichgesetzt wird), die der autoritären Diktatur gegenübersteht. Auch der kategorische Imperativ von Kant hat diesen despotischen Charakter. Haben wir wirklich nur die beiden Alternativen: Autoritäre Gleichschaltun und Willkür? Müssen wir die Gleichschaltung in vielen Lebensbereichen akzeptieren, um in den Gleichschaltungslücken unsere individuelle Freiheit ausleben zu können?
Der Artikel ist überschrieben mit: „Dein Wille geschehe“. Bedeutet das notwendig, dass ein allgemeiner Wille existiert der notwendig despotisch ist und unweigerlich zur totalen Gleichschaltung führt? Ich glaube es nicht. Es geht in meinen Augen auch gar nicht um die Frage wie alle handeln sollten. Eine Kritik am kategorischen Imperativ könnte sein, dass es eben nicht auf die Verallgemeinerung meiner Willenshandlung ankommt, sondern darauf, wie der individuelle Mensch in einer individuellen Situation handelt. Zwei Bedingungen liegen diesem individuellen Handeln zugrunde: Erstens die Umweltbedingungen des Handelnden, die Situation. Und zweitens das Denken eines bestimmten Individuums über diese Situation. Die Vereinigung beider Bedingungen führt zur Handlung. Damit ist noch nicht gesagt, dass diese Handlung „gut“ ist.
Ralf erwähnt die Heidegger’sche Geworfenheit, womit die Tatsache des in die Welt geworfen seins eines Ich gemeint ist. In der Welt findet dieses Ich Umstände vor, eben Situationen. Zugleich aber eben auch die Gedanken darüber. Unter „Schicksal“ versteht man üblicherweise die äußeren Umstände die sich entwickeln und uns entgegentreten. Sie fordern unser Handeln heraus. Von der anderen Seite erfahren wir unser Denken. Im Denken sind wir in der Lage, ideelle Inhalte zu erfassen. Es häng von dem ab, was sich uns zuspricht, auch von unserer denkerischen Blickrichtung (s. Artikel Denken), was wir im Denken erfahren. Dieser Zuspruch lässt uns aber frei, wir sind durch unser Denken nicht gezwungen auf eine bestimmte Art in unsere Umgebung einzugreifen. Auch ist es höchst individuell, was sich uns zuspricht und in welcher Art und Weise. Daher ist die Frage wie alle unter Wahrung ihrer Freiheit handeln sollen gar nicht lösbar, sondern nur die Frage, wie ein bestimmter Mensch in einer bestimmten Situation handeln könnte – und das kann er nur selbst beantworten.
Die Vorbedingung des „dein Wille geschehe“ ist ja das „dein Reich komme“, also die Frage nach dem, was sich uns zuspricht. Und diesem Zuspruch zu folgen führt erst zum „dein Wille geschehe“. Aber auch das „dein Reich komme“ hat seine Vorbedingung: Nämlich das „geheiligt werde dein Name“. Dieses betrachte ich als das „trainieren“ des Denkens. Quasi um das empfänglich oder auch kreativ machen des Denkens. In diesem Zusammenhang geht es mir nicht um eine religiöse Anschauung sondern rein nur um die Interpretation eines „Gedichtes“ das in den letzten zweitausend Jahren unsere Kultur außerordentlich stark geprägt hat.
Und da sich die Welt nicht nur um mein individuelles Handeln dreht, sondern auch um das Verständnis der Handlungen anderer Menschen, möchte ich neben Kants kategorischen Imperativ Steiners Maxime der freien Menschen stellen: "Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen."