Ethik
Ethik I: Das Vakuum
„Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.“ (Friedrich Hölderlin)
Die aktuelle Diskussion der Ethik wird durch zwei diametral verschiedene Richtungen bestimmt. Die eine stammt aus der Tradition des deutschen Idealismus mit seinem wichtigsten moralphilosophischen Vertreter Immanuel Kant. Die zweite stammt aus der Tradition des angelsächsisch geprägten Empirismus, als deren wichtigster Vertreter wohl David Hume bezeichnet werden darf.
Die Moralphilosophie von Kant wurzelt in allgemeinen Gesetzen, die a priori gegeben sind. Je eher ein Mensch in seinen Handlungen diesen Gesetzen entspricht, desto moralischer wird sein Handeln genannt werden können. Die Schwierigkeit besteht einerseits darin diese Gesetze tatsächlich zu finden und andererseits darin, die Menschheit dazu zu bewegen, sich ihnen entsprechend zu verhalten. Die neuere Wirtschaftsethik versucht sich diesem Problem durch diskursiv zu nähern[1]. Im Diskurs zwischen den beteiligten Menschen, werden die Regeln erarbeitet, nach denen sich die einzelnen Akteure zu richten haben. Die Notwendigkeit dieser Vereinbarungen impliziert, dass die einzelnen Akteure von sich aus anders handeln würden. Man könnte hier fragen, ob die Unterordnung unter allgemeine Normen noch funktioniert? Wer will findet immer ein Schlupfloch in der allgemeinen Norm, durch dass er sich dem Gesetz entzieht. Es fällt auf, dass das puritanische Zeitalter, in dem Kants Anspruch: „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“[2] irgendwie verwirklicht schien, in einer modernen Gesellschaft keinen Bestand mehr hat. Wer hat schon Lust, sein inneres Streben an einem allgemeinen Gesetz, das für jeden gleich lautet auszurichten? Das Gebrüll des nietzscheanischen Löwen übertönt die senile Moralpredigt mit ihrem ständigen Wiederkäuen weltfremder „Du sollst“-Reden.[3] Das „Ich will“ ist weit kräftiger als die Predigt des Pfarrers… Damit geht eine Moral, die dem Menschen von außen Regeln auferlegen will, ins Leere. Sie will den Menschen despotisch entmündigen - kaum einer dreht sich noch nach diesen Regeln um. Die Moralische Regel ist auch nie Ergebnis der reinen spekulativen Philosophie, sondern ausschließlich der zugrundeliegenden Axiomatik. Von Platon über Kant bis zur modernen Wirtschaftsethik.
Die Ansätze des Empirismus leugnen jegliche für sich bestehende Welt der Gesetze. Alles was wir Erkenntnis nennen stammt für den Empiristen aus der Gewohnheit. Damit ist es sinnlos über ein eigenständiges Gesetz zu reden, das unserem Handeln eine Richtung gibt. Wir machen die Erfahrung, dass der Schlag ins Gesicht meines Gegenübers unvermittelt zurückkommt – und deshalb unterlassen wir ihn künftig. Wir erlernen ethisches Verhalten durch Erfahrung – und diese Erfahrung ist in der Regel natürlich weit komplexer als der einfache Schlagabtausch. Mit der Industrialisierung haben sich aber immer weitere Kreise unserer Taten aus dem Erfahrungshorizont entzogen. Die Konsequenzen in der Wertschöpfungskette eines einfachen Einkaufs sind real vorhanden, entziehen sich aber vollständig unserer Erfahrung. Damit fehlt uns aber – aus empiristischer Sicht – die Grundlage in unserer modernen Gesellschaft neben anderen Dingen auch unser ethisches Verhalten weiterzuentwickeln. Es bleibt einfach in jenem Kreis stehen, in dem wir eben Erfahrungen machen. Wir sind alle nett zueinander und freuen uns über einen gelungenen Einkauf. Die Menschen entlang der Wertschöpfungskette entziehen sich unserer Erfahrung – zu ihnen sind wir eben nicht nett. Auch nicht unbedingt unfreundlich. Sie interessieren uns einfach nicht. Und doch sind sie von unseren Handlungen unmittelbar betroffen. Aus ethischer Sicht bedeutet das, dass wir ein kleines Umfeld ethischen Handelns wahrnehmen und daneben einen großen blinden Fleck haben. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie unzulänglich auch der empiristische Ansatz ist. Er will uns durch die Gewalt der Natur entmündigen, die deterministisch unserem Handeln die Regel gibt. Diese Entmündigung spiegelt sich in zahlreichen Aussagen der modernen Hirnforschung wieder. Doch ist sie nicht Resultat der Forschung, sondern Resultat der Axiomatik. Sie tritt bei allen Empiristen auf: Von Hume und La Mettrie bis Singer und Roth.
Wenn keiner mehr sagen kann was zu tun ist und wir die Auswirkungen unserer Handlung nicht mehr unmittelbar wahrnehmen, versagen sowohl idealistische als auch empiristische Ethikmodelle. Das idealistische Modell will uns despotisch unterdrücken, das empiristische setzt uns der vollständigen Willkür aus. Wir sind aufgefordert, aus uns selbst – und nicht durch Gesetz oder Natur von außen – neue Wege der Ethik zu finden – „ein aus sich rollendes Rad“[4].
Kommentare
Ich möchte das Thema Ethik zusätzlich mit einer anderen Kategorisierung beleuchten und zeigen wieso die Fragen zum Willen und den Bedürfnissen so zentral sind. Ethik/Moral behandelt das menschliche Handeln. Moral hat für mich zwei Dimensionen. Eine normative und eine deskriptive.
Die deskriptive Ethik untersucht wieso Menschen handeln. Handlungen sind „Materialisierungen“ des Willens, der Triebe, der Bedürfnisse und der Werte. Diese Begrifflichkeiten sind nicht überschneidungsfrei (Triebe sind auch Bedürfnisse, Priorisierung der Bedürfnisse hängt mit dem Wertesystem zusammen und alles äußert sich im Willen) und es gibt viele Berührungspunkte zur normativen Ethik, da Werte, die eigene Haltung zu den Trieben, den Bedürfnissen und dem Willen stark von der gelernten Moral abhängt.
Die normative Ethik versucht richtiges Handeln zu definieren. Was sind die Kriterien des richtigen Handelns? Bei den Griechen gab es zwei grundlegende Richtungen, die das versucht haben[1]. Entweder wurde das “Richtige“ von “Außerhalb des Individuums“ abgeleitet oder es kommt aus dem “Individuum“:
Nitzsche hat mir die Relativität der Moral gezeigt. Wie sehr die Moralvorstellungen vom geschichtlich-/gesellschaftlichen Kontext definiert sind. „In der That, man thut gut (und klug), zur Erklärung davon, wie eigentlich die entlegensten metaphysischen Behauptungen eines Philosophen zu Stande gekommen sind, sich immer erst zu fragen: auf welche Moral will es (will er –) hinaus?“[3] Wie du in Ethik II schön beschrieben hast - Es bleibt ein Zyklus aus Bewusstseinsbildung. Was will ich? Woher kommt mein Wollen? Von welchen Wertesystemem? Von welchen Vorbildern (und aus welchen Wertesystemen heraus agieren die Vorbilder) Will ich mein Wollen?[4]
[1] Tomás Sedlácek , Die Ökonomie von Gut und Böse", Hanser, S. 162
[2] Tomás Sedlácek , Die Ökonomie von Gut und Böse", Hanser, S. 164
[3] Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Erstes Hauptstück, Aphorismus 6 (KSA 5, S. 20)
[4] Wollen in der breitesten Definition, also inkl. Triebe, Bedürfnisse